Warum Berliner Tango lieben
Berlin tanzt Tango – in Tanzschulen und Ballhäusern, Clubs und Restaurants, Fabriketagen und Salons. Im Sommer lassen sich die Tänzerinnen und Tänzer in der Strandbar an der Museumsinsel oder beim Tangofestival im Hauptbahnhof beobachten – in enger Umarmung und versunken in die Musik. Wer dabei denkt, das würde ich am liebsten auch mal probieren, dem sei gesagt: Nur zu! Jeden Tag gibt es Tangokurse in Berlin. Auch wer noch keinen Tanzpartner hat, ist willkommen.
Ein paar Tausend Hauptstädter sind es wohl, die regelmäßig Tango tanzen, von der Studentin bis zum Rentner. Genaue Zahlen gibt es nicht. Nach dem harten Einschnitt der Corona-Pandemie, als „Tanzlustbarkeiten“ lange Monate verboten waren, ist das Berliner Tangoleben im Frühling 2022 wieder aufgeblüht. Auch Besucher aus dem In- und Ausland zieht es wieder zum Tangotanzen in die Metropole an der Spree. Mehrere Hundert Menschen befassen sich neben- oder hauptberuflich mit dem Tango, als Lehrerinnen und Lehrer, Musikerinnen und Musiker, Veranstalterinnen und Veranstalter, DJs und Fashion-Fachleute.
Was fasziniert all diese Menschen am Tango? Warum lieben Berlinerinnen und Berliner den Tango und gehen Nacht für Nacht tanzen?
Tango berührt das Herz
Da wäre zunächst die Musik, die es so gut versteht, komplexe Gefühle zu spiegeln, die traurig-melancholische Töne genauso kennt wie fröhlich-beschwingte. Das seufzende Bandoneon ist das charakteristischste Instrument des Tangos. Deutsche Auswanderer brachten es vor mehr als 100 Jahren nach Argentinien und Uruguay, in die Geburtsländer des Tangos. Auch wenn die meisten Berliner Tangofans die spanischsprachigen Texte nicht verstehen, die universelle Botschaft der Musik trifft sie doch mitten ins Herz.
Berlin hat eine eigene Tangomusikszene, wenn auch eine überschaubare. Die Hauptstädter sind stolz auf ihr Community Tango Orchestra, in dem Profi- und Laienmusiker gemeinsam musizieren. Daneben gibt es kleinere und größere Tango-Ensembles, die Tanzveranstaltungen mit Live-Musik bereichern.
Tango bietet Raum zur Entfaltung
Am wichtigsten für die Berliner Tangofans ist der Tanz. Das Besondere dabei: Im Gegensatz zu den meisten anderen Paartänzen wird der südamerikanische Tango improvisiert getanzt. Es gibt keine vorgegebene Schrittfolge und das Tempo ist variierbar. Das eröffnet Tänzerinnen und Tänzern unendlich viele Möglichkeiten, sich individuell auszudrücken. Ein und dasselbe Musikstück wird von jedem Paar anders interpretiert. Kein Tanz gleicht dem anderen. Und doch können alle, die die Technik gut beherrschen, miteinander tanzen. Menschen, die sich nie zuvor begegnet sind, bewegen sich gemeinsam zur Musik, als hätten sie es vorher hunderte Male geübt.
Die Freiheit, die der Tango bietet, passt zu Berlin und den experimentierfreudigen Menschen, die hier leben. Es gibt eine große Szene, die sich den traditionellen Tangos der 1930er- und 40er-Jahren verschrieben hat. Daneben gibt es aber auch eine alternative Szene, die immer wieder nach neuen musikalischen und tänzerischen Ausdrucksformen sucht. Den Tango aus Buenos Aires bloß imitieren? Das reicht Berlin nicht. Die Menschen hier fügen dem Tango mit Respekt für seine Wurzeln eigene Verästelungen hinzu. So entstehen in Berlin auch neue Tangos, komponiert zum Beispiel von Judith Brandenburg (ein ausführliches Interview mit ihr findest du im Tango-Guide Berlin).
Tango macht fit und glücklich
Die Bewegung zur Musik und der Körperkontakt mit dem Tanzpartner setzen Glückshormone frei. Viele Tänzerinnen und Tänzer sprechen deshalb von einer Sucht, empfinden den Tango als Droge. Gesünder als andere Rauschmittel ist er ganz sicher: Der Tango bringt den Körper in Bewegung, stärkt Ausdauer, Kraft, Gleichgewichtssinn und Flexibilität. Wer mehrmals die Woche tanzen geht, kann sich die Mitgliedschaft im Fitnessstudio sparen.
Studien zeigen, dass Tanzen das Gedächtnis trainiert und dem Abbau von Nervenzellen entgegenwirkt, wovon Patienten mit Alzheimer oder Parkinson profitieren können. „Die gesundheitliche Dimension des Tangos, seine heilende Wirkung ist bislang kaum erforscht“, sagt Tanzschulbetreiber Thomas Rieser. Er geht für seine Doktorarbeit an der Charité der Frage nach, inwieweit der Tango Krebspatientinnen dabei helfen kann, besser mit den Nebenwirkungen einer Chemotherapie fertigzuwerden.
Tango verbindet Menschen
Der Tango bringt Menschen zusammen und das nicht nur auf der Tanzfläche. Im Unterricht wird diskutiert und gelacht. Man verabredet sich zum Üben, geht gemeinsam auf Reisen, Freundschaften entstehen. Manche finden die große Liebe, andere zerstreiten sich. Wer den ganzen Tag allein am Schreibtisch verbringt, kann abends in der Tanzschule oder bei einer Milonga auf Gesellschaft zählen. Wer gerade keine Lust auf Gespräche hat, lauscht nur der Musik, ist aber trotzdem unter Leuten.
Ganz allgemein könne der Tango dabei helfen, Vorbehalte abzubauen, ist Veranstalter Fil Kirchner überzeugt. „Als Tänzer umarmen wir ständig fremde Menschen und das trägt sicher auch zu einem besseren Miteinander außerhalb der Tanzfläche bei.“
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